Das Wichtigste in Kürze
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Schulform:
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Gesamtschule
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Handlungsfelder:
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Individuelle Unterstützung der Betroffenen bei der Überwindung von Diskriminierung, Identifikation von institutionellen Diskriminierungsrisiken, Abbau von Zugangsbarrieren
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Angaben zum Träger des Praxisbeispiels:
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Soziale Organisation an einem Gymnasium, die auch mit anderen Schulen am Ort verbunden ist
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Beratungsstellensuche_Bundesland
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Beratungsstellensuche_Bundesland_Rheinland-Pfalz
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Diskriminierungskategorie:
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Bildungsungleichheit, Klassismus
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Durchführung:
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seit 2021
Durchführende Organisation
Die Schülerstiftung Saarburg wurde von einer Gruppe von Schüler*innen als schulinterne Organisation im Gymnasium Saarburg gegründet. In Zukunft sollen die Aktivitäten auf andere Schulen in Saarburg ausgeweitet werden. Daher wird sich die Schülerstiftung als eigenständiger Verein gründen. Die Schülerstiftung hat also nicht die Rechtsform einer Stiftung.
Die Verantwortung für die Arbeit liegt jetzt schon weitgehend bei den Schüler*innen. Einige Lehrer*innen stehen beratend zur Seite.
Das Gymnasium Saarburg ist eine Schule in Trägerschaft des Landkreises Trier-Saarburg mit rund 1.000 Schüler*innen.
Am Reflexionsgespräch Beteiligte
Am Reflexionsgespräch haben zwei Schüler*innen teilgenommen, die die Schülerstiftung mit anderen aufgebaut haben und koordinieren.
Ausgangslage und Motivation
Gründungsimpuls
Der Impuls für die Gründung der Schülerstiftung entstand in einer Gruppe von Schüler*innen aus der 10. Klasse, die bei einem Europawettbewerb ein Preisgeld erhalten hatte, das für die „europäische Sache“ ausgegeben werden sollte.
Die Gruppe war im Schulalltag häufig mit Chancenungleichheit aufgrund von unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten konfrontiert. Sie wollten deshalb Austauschprojekte innerhalb der Europäischen Union finanziell so unterstützen, dass allen eine Beteiligung möglich ist. Um diese Förderung besser zu strukturieren, haben die Schüler*innen die Schülerstiftung gegründet. Die initiierende Gruppe selbst bildet einen Querschnitt der Gesellschaft mit privilegierten und weniger privilegierten Mitgliedern ab.
Ziele
Zentrales Ziel ist, Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft abzubauen. Alle Schüler*innen sollen die Chance haben, sich individuell weiterzuentwickeln. Mit den Aktivitäten möchten sie den beschriebenen Herausforderungen auf lokaler Ebene entgegentreten. Das Engagement und den Austausch mit anderen Menschen sehen sie für sich als Bereicherung.
Ein weiteres Ziel der Schülerstiftung ist es, die Gemeinschaft mit den verschiedenen benachbarten Schulen zu fördern. So wollen sie dazu beitragen, die in der sozialen Herkunft der jeweiligen Schüler*innenschaft begründeten Differenzen zwischen Gymnasium, Realschule Plus und Grundschule abzubauen. Ihre Vision ist, eine große Schulgemeinschaft zu werden.
Maßnahmenbeschreibung
Die Organisation
Die Gruppe trifft sich einmal im Monat mit einem Team aus verschiedenen Klassenstufen. Die Kommunikation erfolgt zudem über eine digitale Vernetzung. Für die Organisation von Aktivitäten gibt es zusätzliche private Treffen.
Das „Stiftungskapital“ stammt bisher vor allem aus Preisgeldern von Wettbewerben, aber auch aus verschiedenen Aktionen wie einem Kuchenverkauf beim Schulfest oder einer Spendenbüchse beim Infostand.
Finanzielle Unterstützung organisieren
Die Schülerstiftung möchte über individuelle finanzielle Unterstützung Nachteile ausgleichen. Schüler*innen können sich direkt bei den Mitgliedern der Gruppe oder über die Vertrauenslehrer*innen melden, wenn sie Bedarf haben. Die Vertrauenslehrer*innen gehen auch auf Schüler*innen zu, wenn sie wahrnehmen, dass es einen Bedarf geben könnte. Die Gruppe überlegt dann mit den Lehrkräften, wie eine Lösung aussehen könnte. Ein ukrainischer Schüler brauchte beispielsweise Nachhilfe. Die Gruppe hat daraufhin in der Schulgemeinschaft Personen gesucht, welche die Nachhilfe anbieten könnten, und hat diese auch finanziell unterstützt. Die Förderung erfolgt weitgehend anonym über die Lehrer*innen.
Weitere Projekte
Über diese Art der Förderung hinaus macht die Schülerstiftung auch Angebote, die langfristig zu einem sozialen Ausgleich beitragen sollen. So wurde in Kooperation mit der schulinternen AG Ökonomische Bildung ein Workshop organisiert, in dem das Steuersystem erklärt wurde. Die Idee dahinter war, dass das Wissen über den Umgang mit Geld vor allem aus den Elternhäusern und nicht aus der Schule kommt und dass fehlendes Wissen zu einer Reproduktion sozialer Ungleichheit beiträgt.
Weitere Aktivitäten sind:
- die Beratung bei der Realisierung von Praktika in Kooperation mit der Berufs- und Studienorientierung
- eine Bücherbörse, die jungen Menschen einen kostenfreien Zugang zu Lektüre gewährleisten soll, mit der Idee der Integration in die Schulbibliothek
- der Einsatz für ein kostengünstiges und gesundes Mittagessen für die gesamte Schulgemeinschaft in Kooperation mit der Schüler*innenvertretung
- die Organisation eines gemeinsamen Fußballturniers mit den Nachbarschulen
Öffentlichkeitsarbeit und Kooperationen
Die Zielgruppe wird über verschiedene Kanäle erreicht. Es gibt eine Sorgenbox, in der alle anonym Probleme oder Anregungen einwerfen können, die dann von der Schülerstiftung oder der Schüler*innenvertretung bearbeitet werden.
Bei schulinternen Veranstaltungen ist die Schülerstiftung mit Informationsständen präsent und kommt hierüber mit vielen ins Gespräch. Eine große Rolle spielen auch die sozialen Medien und eine eigene Internetseite.
Die Schülerstiftung arbeitet mit allen Beteiligten aus der Schulgemeinschaft und externen Partner*innen wie zum Beispiel „ArbeiterKind.de“ für die Berufs- und Studienorientierung zusammen.
Verstetigung und Verankerung
Die Schülerstiftung sieht sich auf einem stabilen Fundament. Es gibt genügend Interesse aus der Schüler*innenschaft sowie ausreichend Kapital und Spender*innen, sodass das Engagement weitergeführt werden kann.
Um die Arbeit längerfristig abzusichern, werden jetzt bereits Schüler*innen aus niedrigeren Klassenstufen für das Projekt gewonnen.
An der Schule sind sie über monatliche Reflexionsgespräche mit den Vertrauenslehrer*innen und der Schulleitung angebunden.
Konkrete Unterstützung
Es gibt die Rückmeldung aus der Schulgemeinschaft an die Macher*innen der Schülerstiftung, dass ihre Angebote Teilhabe und Chancengerechtigkeit in konkreten Fällen ermöglichen. Die aktive und ständige Präsenz der Gruppe in der Schule führt immer mehr dazu, dass sich Schüler*innen gegenseitig auf das Angebot aufmerksam machen.
Bewusstseinsbildung
Die Arbeit wirkt in der Einschätzung der Schüler*innen aber noch auf einer anderen Ebene: Durch das Engagement ist der Schulgemeinschaft bewusst geworden, wie schwerwiegend und komplex das Problem der Chancenungleichheit und Diskriminierung durch soziale Herkunft ist.
Gelingensfaktoren, Herausforderungen und Grenzen
Gelingensfaktoren
Niedrigschwellige Erreichbarkeit
Das Thema „Soziale Ungleichheit“ ist oft schambesetzt und daher schwer besprechbar. Die Schülerstiftung legt daher großen Wert auf anonyme und unkomplizierte Möglichkeiten der Kontaktaufnahme. Weil eine Kontaktaufnahme unter den Schüler*innen heikler ist, hat sich der Weg über die Vertrauenslehrkräfte bewährt.
Die individuelle finanzielle Förderung von Schüler*innen erfolgt an anderen Schulen oft über den Förderverein. Die Schülerstiftung sieht einen Vorteil ihrer Arbeit darin, dass sie stärker in der Schule integriert ist und dadurch anders mit den Lehrer*innen arbeiten kann, als Eltern das mit einem Förderverein können.
Bewusstsein für strukturelle Ursachen von Ungleichheit
Die Schülerstiftung möchte die persönliche Ebene mit der gesellschaftlichen Ebene verbinden und aufzeigen, dass Armut strukturelle Ursachen hat. Dies wird besonders deutlich in der neu entstehenden Kooperation mit den Schüler*innen der Realschule Plus. Dort ist zum einen der Förderbedarf deutlich größer als am Gymnasium. Zum anderen tragen stereotype Bilder zwischen den Schulen zur sozialen Spaltung bei. Diese sollen über gemeinsame Aktivitäten abgebaut werden.
Auch beim Übergang von der Grundschule zu einer weiterführenden Schule spielt der familiäre Hintergrund eine große Rolle. Hier möchte die Schülerstiftung auf strukturelle, in der Schule verankerte Diskriminierungsrisiken aufmerksam machen.
Herausforderungen und Grenzen
Grenzen des Nachteilsausgleichs
Die finanziellen Möglichkeiten sind begrenzt, sodass Schüler*innen zum Beispiel keine Laptops oder Summer Schools mit Kosten im vierstelligen Bereich finanziert werden können. Das Problem der Diskriminierung aufgrund von Herkunft oder der finanziellen Situation des Elternhauses ist aber ohnehin vielschichtig und beginnt bereits sehr früh im Leben eines Kindes. Ein wirklicher Ausgleich ist daher – so die Erfahrung der Schülerstiftung – mit individueller Förderung nicht möglich.
Stigmatisierung des Themas Armut
Armut oder individuelle schwierige finanzielle Situationen sind in Deutschland so stark stigmatisiert, dass sich trotz niedrigschwelliger Zugangsmöglichkeiten viele betroffene Schüler*innen nicht an die Stiftung wenden.
Auch in den Gesprächen an der Schule macht die Gruppe die Erfahrung, dass es schwierig ist, mit Betroffenen ins Gespräch zu kommen, besonders aus einer eigenen privilegierten Situation heraus. Aufgrund stereotyper Bilder erzeugt das Eingeständnis eigener Bedürftigkeit das Gefühl der Unzulänglichkeit.
Unterstützung durch die Schule
Die Schülerstiftung wünscht sich noch mehr Wahrnehmung und Aufmerksamkeit für das Thema an der Schule, damit noch mehr Schüler*innen den Weg zur Stiftung finden. Nicht alle Lehrkräfte sind sensibilisiert für Schüler*innen, die (finanzielle) Unterstützung brauchen, und erkennen Hinweise auf Unterstützungsbedarfe. Die Gruppe hat die Idee, hier Schulungen für Lehrkräfte anzubieten. Gerne würde sie sich auch in die Ausarbeitung eines Schulkonzepts für dieses Thema einbringen. Aber auch die Gruppe selbst hat oft zu wenig Kapazitäten, um alle wichtigen Projekte umzusetzen.
Schülerstiftung als Neuland
Der Auf- und Ausbau der Strukturen einer Schülerstiftung ist mit erheblichen Anstrengungen verbunden. Da diese Form einer Schülerstiftung in ihrer Art einzigartig in Deutschland ist, hat die Gruppe hier wenig Orientierung erfahren. Für viele der Schüler*innen ist es das erste Mal, dass sie zum Beispiel eine offizielle Website aufbauen oder in Verhandlungen mit der Kreisverwaltung treten müssen. Zwar lernen die Beteiligten dadurch viel Neues, allerdings benötigt die Entwicklung neuer Bereiche aufgrund der nötigen Einarbeitung viel Zeit.
Tipps für die Übertragung
Die Gruppe würde sich über Nachahmung freuen. Gerne würde sie hier auch ihre Erfahrungen weitergeben. Sie empfiehlt:
- ein gut organisiertes, vertrauensvoll arbeitendes Team aufzubauen, in dem alle etwas beisteuern
- das Thema Armut nicht von oben herab anzugehen
- die Lehrkräfte mit ins Boot zu holen, um die Möglichkeit einer halbanonymen Kontaktaufnahme zu gewährleisten
Auf der Website und den Accounts der Schülerstiftung in den sozialen Medien finden sich detaillierte Informationen zu einzelnen Projekten und der Organisationsstruktur, vgl. "Weitere Informationen". Interne Dokumente, Ressourcen, Handreichungen und Organisationsmethoden stellt die Schülerstiftung auf Nachfragen gerne zur Verfügung.