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"Diskriminierung im Bildungsbereich und im Arbeitsleben"
Zweiter Gemeinsamer Bericht
der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages
- Steckbrief zum Bericht -
Bereich Bildung
Frühkindliche Erziehung:
Mangelnde Plätze, institutionelle Barrieren, fehlende Zugangsmöglichkeiten für bestimmte Kinder (z.B. keine Aufnahme von Kindern mit Behinderung, Kindern mit Migrationsgeschichte), Kosten für die Betreuung, aber auch eine mangelnde interkulturelle/inklusive Öffnung führen zur strukturellen Benachteiligung von Kindern in Anknüpfung an die AGG-Merkmale und die soziale Herkunft beim Zugang zu frühkindlichen Betreuung.
Eine diskriminierungsfreie Erziehung ist bereits im Krippen- und Kindergartenalter wichtig. Diskriminierungen können sich z.B. in Skepsis der Erzieher*innen gegenüber Mehrsprachigkeit äußern sowie in Vorstellungen darüber, was „normal“ und „nicht normal“ ist. Um solche Diskriminierungen zu verhindern, ist auch eine größere Vielfalt beim Personal nötig. Bislang mangelt es in Kindertageseinrichtungen an männlichen Mitarbeitern, Erzieher*innen mit Migrationshintergrund, Erzieher*innen mit Behinderung sowie unterschiedlichen Alters.
Allgemeinbildende Schulen:
Beim Zugang zur Regelschule bestehen unterschiedliche Benachteiligungen. Diese können unter anderem auf eine fehlende Schulpflicht für bestimmte Gruppen von Schüler*innen wie Kinder ohne legalen Aufenthaltsstatus, fehlende Rechtsansprüche zum Besuch einer Regelschule, z.B. für behinderte Kinder, sowie wohnräumliche Segregation zurückgehen. Die Tatsache, dass in Deutschland Kinder mit Behinderung respektive mit sonderpädagogischem Förderbedarf immer noch zu einem hohen Anteil nicht an allgemeinbildenden Schulen unterrichtet und gefördert werden, birgt an sich bereits ein Diskriminierungspotential.
Während des Schulbesuchs können bei der Erteilung von Noten und anderen Leistungsbewertungen diskriminierende Mechanismen zum Tragen kommen. So kann z.B. ein türkischer Name oder die „niedrige soziale Herkunft“ von Schüler*innen beim Lehrkörper dazu führen, dass Leistungen schlechter bewertet werden. Je relevanter Noten für die weitere berufliche und Ausbildungslaufbahn sind, desto problematischer ist die scheinbar neutrale Notengebung.
Schüler*innen können in der Schule von direkter, häufig subtiler Diskriminierung in Anknüpfung an die AGG-Merkmale betroffen sein. Dabei kommen Diskriminierungen sowohl im Verhältnis zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen als auch im Verhältnis der Schüler*innen untereinander vor. Schulen reagieren teilweise unzureichend auf die Diskriminierungserfahrungen von Schüler*innen und versuchen selten, umfassende Konzepte zu implementieren, um diese Form der Diskriminierung zu vermeiden.
In all diesen Bereichen können Vorurteile und Diskriminierung sich nachteilig auf den weiteren Bildungsverlauf der Kinder auswirken.
Wenn Schüler*innen ständig benachteiligt werden, sinken Motivation, Leistung sowie die Identifikation mit den Bildungszielen. Die ständige Konfrontation mit bestimmten Stereotypen und Vorurteilen (etwa, dass türkischstämmige Jungen „aggressiv“, „machohaft“ usw. seien), kann langfristig die erfolgreiche Bildungsteilhabe verhindern.
Schulen fehlt es zum Teil immer noch an Vielfalt. Dies betrifft zum einen den Lehrkörper, der nach wie vor überwiegend weiblich und ohne Migrationshintergrund ist. Aber auch Schulmaterialien reproduzieren Stereotype, etwa rassistische Vorstellungen oder normative Vorstellungen über Familie. Lernenden und Lehrenden fehlt es gleichermaßen an Wissen über Rechte bei Diskriminierung, Beratungsmöglichkeiten und Ansprechpartner. Der gerichtliche Schutz scheitert oft an der langen Verfahrensdauer und psychologischen Hürden. Es braucht daher in den Schulen klare Regelungen zu Beschwerderechten und –verfahren sowie unabhängige Beschwerdestellen. Derzeit sind in der Regel Schulleitung und –aufsicht zuständig, was die Gefahr birgt, dass diese Vorwürfe von Diskriminierung bestreiten oder verdrängen.
Rechtlich mangelt es in den meisten Schulgesetzen der Länder an einem umfassenden Schutz vor Diskriminierung. Weder gibt es ausreichend ausdrückliche Verbote von Benachteiligungen, noch sind die Wege für eine Beschwerde und den Rechtsschutz klar definiert. Hier müssen dringend Schutzlücken geschlossen werden.
Hochschulen:
Der Zugang zur Hochschule ist für angehende Studierende mit Migrationshintergrund, mit Behinderungen oder einer „niedrigen sozialen Herkunft“ immer noch die zentrale Hürde. Gründe sind unter anderem eingeschränkte Finanzierungsmöglichkeiten, eine mangelnde Vertrautheit mit dem System Hochschule, fehlende bauliche Barrierefreiheit und bürokratische Hindernisse.Studierende mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die ihre Studienberechtigung nicht in Deutschland erworben haben, stehen vor besonderen Hindernissen. Neben sprachlichen Hürden zählen hierzu langwierige bürokratische Zulassungsprozesse oder die nicht adäquate Anerkennung von Leistungsnachweisen aus dem Ausland.
Im Studienverlauf lässt sich Diskriminierung von Studierenden in Anknüpfung an alle AGG-Merkmale und die „soziale Herkunft“ finden. Studierende mit Behinderung oder chronischer Krankheit durch unzureichende Nachteilsausgleiche, fehlende Barrierefreiheit und Beratung benachteiligt werden. Gleiches gilt für Bildungsausländer*innen, die sich vor allem durch eine mangelnde Studienorientierung benachteiligt sehen. Obwohl nur wenige Beschwerden zur sexuellen Belästigung von weiblichen und LSBTI*-Studierenden an Hochschulen vorliegen, zeigt eine aktuelle Untersuchung, dass diese ein großes Ausmaß an der Hochschule haben können. Insbesondere einzelne Gruppen von Studierenden wie Trans*-Personen, homosexuelle Studierende, nichtdeutsche Studierende, muslimische Studierende, Studierende mit Kindern sowie Studierende mit Behinderung oder chronischer Krankheit machen an Hochschulen Diskriminierungserfahrungen. Den Betroffenen fehlt es häufig an qualifizierten Anlaufstellen und Beschwerdestellen an den Hochschulen. Dies hängt auch damit zusammen, dass Diskriminierung kein zentrales Thema für Hochschulen ist und sich diese eher mit Fragen von Diversity beschäftigen.
Hochschulen entwickeln verstärkt Diversity-Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt. Die Vermeidung von Diskriminierung spielt dabei allerdings noch eine untergeordnete Rolle. Es fehlt zudem an Diversity Mainstreaming, bei dem alle Diskriminierungsmerkmale gleichwertig und umfassend mitgedacht und adressiert werden.
Bereich Arbeitsleben
Zugang zur Arbeit:
Beim Zugang zur Arbeit spielt insbesondere die ethnische Herkunft eine große Rolle. Daneben gibt es Stellenausschreibungen, die bestimmte Gruppen z.B. aufgrund des Alters ausschließen. Auch erhalten schwerbehinderte Menschen trotz der gesetzlichen Verpflichtung nicht immer eine Einladung zum Vorstellungsgespräch. Eine besonders große Ausgrenzung beim Zugang zu einer Arbeitsstelle erfahren Frauen mit Kopftuch. Hier scheinen die kulturellen Stereotype und Vorurteile, ungeachtet der Qualifikation der Bewerberin, am größten zu sein, ebenso die Vorbehalte wegen vermeintlicher negativer Auswirkungen beim Kund*innenkontakt.
Wer eine „niedrige soziale Herkunft“, einen spezifischen Migrationshintergrund, eine sichtbare Religionszugehörigkeit oder eine Behinderung hat, dessen Chancen auf einen dualen Ausbildungsplatz sinken. Auch Geschlecht und Alter spielen eine Rolle. Betriebe stellen bestimmte Erwartungen an die „Normalität“ bzw. „Passung“ von Jugendlichen. So gibt es sachlich unbegründete Befürchtungen, bestimmte Jugendliche könnten Kund*innen abschrecken oder weniger Leistung zeigen. Ihre Potenziale und Kompetenzen werden dabei übersehen.
Im Arbeitsleben:
Im Arbeitsleben selbst gibt es (Beratungs-)Fälle von Mobbing von Vorgesetzten und Kolleg*innen, die einen rassistischen, frauenfeindlichen oder homophoben Hintergrund haben. Es werden Karrierechancen aufgrund von Teilzeitwünschen, Schwangerschaft, einer Behinderung oder des Alters verwehrt oder nur minderwertige Arbeiten angeboten. Studien belegen zudem einen beträchtlichen Umfang sexueller Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz. Betroffen sind vor allem Berufseinsteigerinnen, Frauen in untergeordneten Positionen oder prekären Arbeitsverhältnissen sowie Frauen in typischen Männerdomänen.Belästigung und Mobbing haben negative Folgen für die Gesundheit, Leistungsfähigkeit sowie auch die Loyalität zum Betrieb und die Motivation der Betroffenen. Obwohl also der ganze Betrieb von den negativen Effekten betroffen sein kann, fehlt es bisher an umfassenden Konzepten zur Prävention und Intervention.
Aufstieg:
Auch beim Aufstieg innerhalb eines Betriebes sowie den Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung spielen unterstellte Defizite und der fehlende „Nutzen“ für Unternehmen eine Rolle. Diskriminierung in diesem Bereich trägt dazu bei, dass Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, mit Behinderung sowie LSBTI*-Personen in Führungspositionen deutlich unterrepräsentiert sind. Die „gläserne Decke“, an die Frauen beim Aufstieg stoßen, betrifft jedoch auch andere Gruppen, etwa Menschen mit Migrationshintergrund.
Entgeltungleichheit:
Entgeltungleichheit gibt es nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern beispielsweise auch zwischen Beschäftigten mit und ohne Migrationshintergrund sowie mit und ohne Behinderung. Das Risiko der Entgeltungleichheit wird dadurch erhöht, dass Kriterien für eine diskriminierungsfreie Bewertung von Arbeit fehlen und Prüfinstrumente wie Logib-D und eg-check.de von den Unternehmen nicht umfassend genutzt werden.
Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses:
Auch bei der Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses kann es zu Benachteiligungen kommen. Insbesondere bei atypischen Beschäftigungsverhältnissen gibt es Beschwerden über die Umgehung von Beschäftigtenschutzrechten. In diesem Bereich sind Frauen, jüngere Beschäftigte und Menschen mit Migrationshintergrund überrepräsentiert. Im Zusammenhang mit einem im AGG geschützten Merkmal werden immer wieder Beschäftigte aus einem Arbeitsverhältnis gedrängt. Dies betrifft z.B. Kündigungen aufgrund einer Entscheidung, ein Kopftuch zu tragen oder aufgrund einer chronischen Krankheit. Ohne sachliche Begründung ist hier von einer Diskriminierung auszugehen. Altersgrenzen spielen auf dem Arbeitsmarkt bei der Beendigung von Beschäftigung eine bedeutende Rolle. Ob das gesetzliche Rentenalter an sich bereits eine Diskriminierung darstellt, ist unklar. Eine Flexibilisierung ist jedoch aus ADS-Sicht angebracht.
Diversity:
Bisher hat die Förderung von Diversity im Arbeitsleben, in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Sektor nur geringe Bedeutung. Meist konzentrieren sich Unternehmen und Verwaltung auf einzelne Dimensionen, horizontal angelegte Strategien fehlen dagegen.